Nur Genossenschaften sichern leistbares Wohnen – was Österreich daraus lernen sollte
Von einer Stadt, die sich das Wohnen leisten will, und von einem Land, das jetzt handeln muss.
Zürich ist ein Zentrum der globalen Finanzwelt. Die renditegetriebene Immobilienwirtschaft treibt Mieten und Bodenpreise, prägt die Logiken der Wertschöpfung – auch am Wohnraum, auch an den Bewohner:innen. Und doch hält die größte Stadt der Schweiz seit über einem Jahrhundert an einer Gegenkraft fest: Gemeinnützigkeit. In Genossenschaften organisiert, mobilisiert sie Ressourcen, teilt Risiken und öffnet Türen. Überraschend für manche: Ausgerechnet diese Akteure führen architektonische und städtebauliche Innovation an – mit Mischungen aus Wohnen, Arbeiten, Kultur, Pflege, Gemeinschaf.

Zürich ist kein Mythos, Zürich ist eine Rechnung. Wer in diesen Tagen durch die Quartiere streift, zwischen Höngg und Kalkbreite, sieht nicht nur neue Fassaden, Holz, Loggien, Gemeinschaftsräume – man sieht eine Stadt, die die Frage „Wer darf hier wohnen?“ mit institutionellen Antworten beantwortet hat.18 % aller Wohnungen sind in der Hand gemeinnütziger Genossenschaften,7 % gehören der Stadt. Und die Mieten? Rund 50 % unter Marktniveau. Das ist nicht Romantik, das ist System.

Zwischen 10. und 13. September 2025 war der Verein für Wohnbauförderung (VWBF) vor Ort. Drei dichte Tage, Exkursionen, Gespräche mit Genossenschaften und Stadtplanung. Eine Fact-Finding-Mission – und eine Rückspiegelung nach Österreich.

„Die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften sind die Garanten für leistbares Wohnen“, sagt VWBF-Obfrau Andrea Washietl. „In Zürich haben sie einen ähnlichen Stellenwert wie die gemeinnützigen Bauvereinigungen in Wien. Breite Zugänglichkeit, sozialstaatliche Funktion – das verbindet.“
Unterschiedlich sind die Größenordnungen: über 200.000 Mietwohnungen von 50+ gemeinnützigen Trägern in Wien versus ~70.000 Genossenschaftswohnungen bei 200+ Baugenossenschaften in Zürich.

Erkenntnis 1: Hoher Marktanteil wirkt – aber löst die Knappheit nicht allein
Zürich ist trotz seines Genossenschaftssektors mit Wohnungsknappheit konfrontiert – nicht trotz, sondern wegen eines anderen Faktors: extrem hohe Grundstückspreise. Volksentscheide, Initiativen, Zielmarken (die Stadt will bis 2030 den gemeinnützigen Bestand auf ein Drittel erhöhen) zeigen: Die Stadt weiß, dass institutionelle Kapazität allein nicht reicht, wenn Bauland verknappt ist. Institution + Bodenpolitik: erst diese Doppelstrategie wirkt.
Erkenntnis 2: Leistbarkeit entsteht im Regelsystem – nicht im Einzelfall
Leistbarkeit wird in Zürich strukturell erzeugt: nicht nur durch Eigentümerstruktur, sondern auch durch Finanzierungsarchitektur.
Kernstück ist die Emissionszentrale für den gemeinnützigen Wohnbau (EGW): Der Bund garantiert Anleihen; aus diesen Mitteln vergibt die EGW-Darlehen an Genossenschaften. Flankierend speist der Bund den „Fonds de Roulement“, treuhänderisch von den Dachverbänden verwaltet – Ergebnis: zinsgünstige Darlehen und Rückbürgschaften sichern Neubau und Sanierungen.
Das ist kein exotisches Instrument, sondern ein übersetzbares: ein kapitalmarktnahes, staatlich abgesichertes Vehikel, das langfristige Planbarkeit bietet.
„Die Schweiz zeigt, wie ein auf Gemeinnützigkeit zugeschnittenes Finanzierungssystem skaliert. Das sollte uns Anstoß sein alternative Finanzierungsinstrumente in Österreich zu implementieren – zusätzlich zu einer konsequenten Zweckbindung und robusten Fondsmodellen.“ – Andrea Washietl, Obfrau VWBF
Erkenntnis 3: Rechte zählen – Sicherheit ist Teil der Leistbarkeit
So ähnlich die Systeme sind, so unterschiedlich die Mieter:innenrechte: In Zürich können Genossenschaften bei geänderter Haushaltsgröße relativ einfach kündigen. Aus österreichischer Perspektive – mit starkem Konsument:innenschutz – ist das schwer vorstellbar. Die Lehre: Leistbarkeit ohne Wohnsicherheit bleibt prekär. Österreichs Stärke ist hier ein Asset, das in jeder Reform erhalten werden muss.
Erkenntnis 4: Boden ist die neue Zinsfrage
Knappheit entsteht am Bodenmarkt. Für Österreich lautet die Antwort: baulandmobilisierende Maßnahmen in die Fläche bringen – Vertragsraumordnung, Widmungskategorien (Wiener Modell), aktive Bodenbevorratung und die Bereitstellung öffentlicher Liegenschaften. Ohne Boden keine Gemeinnützigkeit am Bauplatz.

Von Zürich lernen heißt: Jetzt Entscheidungen treffen
Aus der Studienexkursion leitet der VWBF eine Fünf-Punkte-Agenda ab:
- Finanzierung skalieren: Kapitalmarktnahes Instrument nach EGW-Vorbild prüfen/etablieren; nationalen Wohnbaufonds stärken.
- Zweckbindung fixieren: Zweckwidmung der Wohnbauförderung rechtlich stabilisieren – gegen Konjunkturzyklen immunisieren.
- Boden mobilisieren: Vertragsraumordnung & Widmungskategorien ausweiten, öffentliches Bauland priorisiert an Gemeinnützige vergeben.
- Rechte sichern: Österreichs Mieter:innenschutz als Standortvorteil pflegen; keine Verwässerung bei Reformen.
- Volumen erhöhen: Zielkorridore für gemeinnützige Bestandsanteile definieren; kommunale und gemeinnützige Träger proaktiv befähigen.
Wissenschaft trifft Praxis
Viel fachlichen Input steuerte Rebekka Hirschberg, Co-Autorin von „Cooperative Conditions: A Primer on Architecture, Finance and Regulation in Zurich“, eines Standardwerks zum Zürcher Wohnungsmarkt – ausgezeichnet mit dem vom VWBF initiierten Bruno-Kreisky-Preis für sozial-ökologisches Wohnen. Forschung, die wirkt: Sie zeigt, dass die „Architektur der Institutionen“– wer baut, wie finanziert wird, wie Boden vergeben wird – die Mietpreise stärker prägt als jede Einzelförderung im Einzelfall.

Resümee der Studienexkursion nach Zürich
Gemeinnützigkeit ist kein Nischenprogramm, sondern verlässliche Infrastruktur. Zürich belegt: Wo die öffentlichen und genossenschaftlichen Akteure stark sind und der Boden politisch gestaltet wird, sinkt der Druck am Markt – messbar, dauerhaft, sozial.
Wenn wir die Zürcher Lektion ernst nehmen – Finanzierung ordnen, Boden mobilisieren, Rechte sichern, Volumen erhöhen – dann ist Leistbarkeit nicht Utopie, sondern ein Plan. Und Pläne kann man bauen.
Text: Christian Swoboda
Präsentationen zum downloaden:
Cooperative Conditions / Rebekka Hirschberg, 12.9.2025
Bildnachweis: vwbf und Christian Swoboda.