Trautes Heim

pa / Caro | Ruffer

Teure Mieten, tiefe Spaltung: Wie die verfehlte Wohnraumpolitik den sozialen Zusammenhalt in Europa gefährdet.

Das Thema Wohnraum rückt auf der politischen Agenda immer weiter nach oben. Bei den jüngsten regionalen und nationalen Wahlen in Spanien, Österreich und den Niederlanden präsentierten verschiedene politische Parteien ihre Ideen zur Lösung der Wohnungskrise. Für viele Europäerinnen und Europäer ist die Situation in der Tat krisenhaft. Laut der Eurobarometer-Erhebung vom Herbst 2024 gehört die Wohnungsfrage nach Einschätzung der Befragten zu den fünf dringlichsten Problemen im eigenen Land. Dass bezahlbarer Wohnraum als drängendes Problem wahrgenommen wird, ist eindeutig wirtschaftlich begründet. Zwischen 2005 und 2023wuchs das mittlere verfügbare Einkommen der europäischen Bevölkerung lediglich um 17 Prozent, während die Mieten um 34 Prozent und die Preise für Wohneigentum sogar um 76 Prozentstiegen. Doch der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist nicht nur ein finanzielles Problem. Entscheidender ist, dass er die wirtschaftlichen und sozialen Gräben in Europas Gesellschaften langfristig zu vertiefen droht.

Für die Entkopplung der Preise für Wohneigentum und Mieten von der Einkommensentwicklung sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich. Erstens hat die Finanzialisierung von Wohnraum dazu geführt, dass mit Immobilien wie mit Anlagegütern verfahren wird. Ihr Wert wurde so in die Höhe getrieben, dass Wohnraum zunehmend seine Funktion als bezahlbarer und dauerhafter Lebensort verliert. Besonders in der Niedrigzinsphase wurde intensiv spekuliert und investiert, da Immobilien zu den wenigen Anlagemöglichkeiten mit substanziellen Ertragsaussichten zählten. Zweitens wurde über Jahre hinweg zu wenig in neue und erschwingliche Sozialwohnungen investiert. Gleichzeitig wurde vorhandener öffentlicher oder gemeinnütziger Wohnraum privatisiert, sodass der Bestand an bezahlbarem und sicherem Wohnraum in vielen europäischen Ländern geschrumpft ist.

Oft waren die Mehreinnahmen höher als das, was im gleichen Zeitraum durch Erwerbsarbeit verdient werden konnte.

Doch wie haben diese Entwicklungen den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt europäischer Gesellschaften verändert? Die Probleme, die durch rasant steigende Immobilienpreise und Mieten entstehen, stehen zwar inzwischen im politischen Fokus. Aber der Anstieg der Hauspreise war lange Zeit nicht nur ein wirtschaftlicher Nebeneffekt, sondern politisch gewollt. Steigende Immobilienpreise bescherten den Hausbesitzern erhebliche Vermögenszuwächse. Oft waren die Mehreinnahmen höher als das, was im gleichen Zeitraum durch Erwerbsarbeit verdient werden konnte. Dieses Phänomen war nicht nur in Städten wie London zu beobachten, wo die Wertsteigerungen von Wohneigentum deutlich das mögliche Erwerbseinkommen überstiegen.

Einerseits flossen im großen Stil spekulative Investitionen in den Wohnungsmarkt, andererseits wurde für Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen der Zugang zu Wohneigentum immer mehr erschwert. Im Extremfall führte dieser Teufelskreis dazu, dass viele Eigentümer hohe Überschüsse aus Mietwohnungen erzielten, während für einkommensschwache Mieter Immobilienvermögen unerreichbar wurde. Besonders deutlich zeigt sich dieses Auseinanderdriften in vielen angloamerikanischen Gesellschaften, deren Wirtschaftsordnung stark von der Logik des Neoliberalismus geprägt ist. Nach dieser Logik soll privates Vermögen schrittweise die Rolle des Wohlfahrtsstaates übernehmen. Die sozialen Spaltungen, zu denen es in dieser „Asset-Ökonomie“ kommt, sind somit maßgeblich vom Wohnimmobilienmarkt bestimmt – oder werden sogar durch ihn hervorgerufen.

Die kurzfristige Logik der Wirtschaftspolitik beschert manchen Akteuren beträchtliche Vermögenszuwächse – auf Kosten anderer Teile der Bevölkerung, die nicht von steigenden Immobilienpreisen profitieren. Dies hat allerdings auch fatale ökonomische Konsequenzen: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum mindert die Kaufkraft und belastet zugleich die öffentlichen Haushalte. In den meisten europäischen Ländern steigen die staatlichen Ausgaben für Wohngeld erheblich an. Dieses gilt als aussagekräftiger Indikator für die Probleme von Haushalten, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Im Klartext: Die Steuerzahler subventionieren teure Mieten, die überwiegend an Privatvermieter gehen – ohne dass dies die Bezahlbarkeit oder die Qualität des Wohnraumangebots langfristig verbessern würde.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum betrifft nicht nur die einzelnen Haushalte, sondern belastet auch die Wirtschaft. Zwei Studien zu den ökonomischen Effekten gemeinnütziger Bauvereinigungen in Österreich zeigen: Ein besseres Angebot an bezahlbarem Wohnraum stärkt nicht nur die Kaufkraft und die lokale Wirtschaft, sondern senkt auch die staatlichen Ausgaben für Wohngeld. Zudem wirkt sich die Verfügbarkeit von Wohnraum zu kostenbasierten Mieten preisdämpfend auf den gesamten Wohnungsmarkt aus. Am stärksten unter hohen Wohnkosten zu leiden haben die einkommensschwächeren Haushalte. Da Wohnraum ein Gut des täglichen Bedarfs ist, lassen sich die Wohnkosten nicht analog zum Einkommensniveau anpassen. Darum müssen einkommensschwächere Haushalte einen überproportional großen Anteil ihres Einkommens für ihre Wohnkosten aufwenden. Während der durchschnittliche Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen bei etwa 20 Prozentliegt, beträgt er bei einkommensschwachen Haushalten rund 38 Prozent. Als einkommensschwach gilt ein Haushalt, wenn sein verfügbares Einkommen weniger als 60 Prozent des landesweiten Medianeinkommens liegt.

Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum kann auch zu bleibenden Rissen im Sozialgefüge unserer Städte und Stadtviertel führen.

Der krisenhafte Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat auch Auswirkungen auf Quartiersebene. Der steigende Druck auf dem Wohnimmobilienmarkt entfaltet eine Selektions- und Lenkungswirkung, die im urbanen Raum besonders ausgeprägt ist. Einkommensstärkere Haushalte können sich das Wohnen in attraktiven und gut angebundenen innerstädtischen Gebieten leisten; Haushalte mit geringem Einkommen haben dagegen immer weniger Wohnortoptionen. Im internationalen Vergleich ist die Segregation in den europäischen Städten noch verhältnismäßig moderat, aber in den Hauptstädten nimmt die sozioökonomische Entmischung erkennbar zu. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum gefährdet nicht nur die finanzielle Stabilität vieler Menschen und schmälert ihre Konsummöglichkeiten – er kann auch zu bleibenden Rissen im Sozialgefüge unserer Städte und Stadtviertel führen. Besonders bei Menschen, die wirtschaftlich nicht abgesichert sind und in prekären Wohnverhältnissen leben, steigt das Risiko sozialer Ausgrenzung deutlich. Mögliche Folgen sind Vereinsamung, Isolation und Verbitterung. Gleichzeitig verschärfen geografische Ungleichheiten die sozialen Disparitäten – insbesondere wenn Kinder unter sehr unterschiedlichen Bedingungen aufwachsen und keinen gleichberechtigten Zugang zu qualitativ hochwertiger Infrastruktur oder Bildung haben. Eine europaweite Untersuchung ergab, dass sogar der Zugang zu Grünflächen und sauberer Luft in hohem Maße von den materiellen und finanziellen Ressourcen abhängt.

Bezahlbarer und sicherer Wohnraum ist essenziell für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wo er fehlt, wird die gesellschaftliche und ökonomische Ausgrenzung verstärkt. Aber welcher politische Handlungsbedarf leitet sich daraus ab? Eine der größten Herausforderungen liegt in der Diskrepanz zwischen kurzfristigen politischen Zyklen und einer Wohnraumpolitik, die nur mit langfristigem Atem Wirkung entfalten kann. Diese zeitliche Schieflage erklärt mitunter, warum es vielen Regierungen bisher nicht gelingt, tragfähige Lösungen für die Wohnraumkrise zu liefern. Stattdessen behelfen die Regierungen sich oftmals mit kurzfristigen Korrekturen und lassen sich dabei eher von ideologischen Vorstellungen als von evidenzbasierten Strategien leiten. Dabei wird eine positive Vision für einen bezahlbaren und stabilen Wohnungsmarkt dringender benötigt denn je.

Negative Zukunftserwartungen gehören nachweislich zu den stärksten Prädiktoren für die Unterstützung extrem rechter Bewegungen. Die Gefahr wächst, dass politische Akteure am rechten Rand solche Ängste instrumentalisieren, wie in Ländern wie Irland, den Niederlanden und zuletzt auch in Deutschland geschehen. Eine Sündenbockpolitik, die den Mangel an erschwinglichem Wohnraum vor allem als Folge von Migration darstellt, verfehlt die tatsächlichen Ursachen der Wohnraumkrise. Sie verschärft nicht nur die gesellschaftliche Polarisierung, sondern behindert auch die Entwicklung wirksamer Lösungen. Konstruktiver wäre es, den strukturellen Ursachen mit evidenzbasierten Konzepten zu begegnen – Konzepten, die nicht spalten, sondern den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Im Zentrum sollten dabei die wachsende ökonomische Ungleichheit und eine seit Jahren verfehlte Wohnraumpolitik stehen.

von Gerald Koessl

Gerald Koessl ist wohnwirtschaftlicher Referent beim Österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen mit Sitz in Wien. Zuvor war er bei der National Housing Federation in London tätig. Er promovierte am Goldsmiths, University of London.

zum Artikel: https://www.ipg-journal.de/rubriken/demokratie-und-gesellschaft/artikel/trautes-heim-8195/

Bildnachweis: vwbf und pa / Caro | Ruffer.

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